Lokalnachrichten aus München-Laim und Umgebung
Feindliche Nähe, ein tiefgründiges Buch mit neuer Sichtweise von Michael Wolffsohn

In der Bergpredigt finden wir Christen den Höhepunkt des Humanismus - "Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst". Diese Aufforderung wurde schon von Levitkus im dritten Buch Mose gestellt. Judentum, Christentum und Islam sind einander nah. Dass es trotzdem viele Schwierigkeiten gibt, ist leider nicht vermeidbar. Der Islam ist ohne Christentum und Judentum nicht denkbar und das Christentum nicht ohne das Judentum.
Das Judentum ist sehr von der polytheistischen Traditionen Alt-Mesopotamiens sowie der griechisch und der römischen Antike beeinflusst. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Soll dieser Wunsch wahr werden müssen müssen wir daran arbeiten. Wir müssen die Wirklichkeit erst denkend und dann tätig den Wunsch annähern, formuliert Michael Wolffsohn.
Es gibt auch heute noch Christenverfolgungen in der islamischen Welt. Die Kirchen reagieren darauf sehr leise, meint der Autor. Wie die Juden christliches Gedankengut aufgreifen und weiter entwickeln und Christen vom jüdischen Denken beeinflusst werden erfahren wir in diesem Buch. Das Buch ist auch eine biographische Spurensuche mit Bezügen zu unserer Zeit, in der der Autor die vielen Quellen nutzt und zur Disposition stellt. Für ihn gibt es keine endgültigen Wahrheiten, und so ist für ihn alles offen. Er fängt Signale auf die bei anderen vorbeirauschen. Eine Wahrheit für ihn ist auch, dass ein Wort auch mehrdeutig sein kann. So klopft er die Worte nach ihren Wesensgehalt ab. Hier wird nicht nur zitiert sondern auch neu interpretiert. Die das ganze Buch durchziehende Bibelworte und die hintergründigen Assoziationen mit der sakralen Tradition Israels fesselten mich sehr.
Woffsohn gibt zahlreiche Beispiele für seine These, dass der urchristliche Gedanke der ersten Christen vom Judentum beeinflusst wird. Die Krönung mittelalterlich christlicher Könige glich historisch der Salbung biblischer Könige, zum Beisiel Sauls und Davids durch Samuel. Wie diese jüdischen Könige waren sie und die früh neuzeitlichen Monarchen Herrscher von „Gottes Gnaden“. Der Autor besitzt die Gabe schwierige Sachverhalte auch für Laien verständlich zu erklären. Mir haben in die Worte des gläubigen Juden Michael Wolffsohn sehr verdeutlicht, was der Kern des christlichen Glaubens ist an denen wir festhalten sollen. So deutlich empfand ich es nie.
Die letzte Worte Wolffsohns im Buch sind ein Appell: Schluss mit der Berufung auf Gott beim wechselseitigen Töten. Kennt denn die Menschheit immer noch nicht die "Grenzen der Menschheit"? (Gedicht von Goethe)
Dem virtuos geschriebenen Buch des bekannten Historikers, der die Fahigkeit besitzt, gegen den Strich zu denken, wünsche ich viele Leser.
Eckhard Krause
Michael Wolffsohn "Feindliche Nähe"
Verlag Herder
272 Seiten
24 EUR
Erscheinungstermin: März 2025
ISBN: 978-3451072918

Eingetragen am 05.07.2025
» Alle Lokalnachrichten anzeigen